21. Oktober 2022

Berliner Appell und Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Stadtentwicklung

Mit einem Schreiben wandte sich die Architektenkammer Berlin am 21. Oktober 2022 an die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und gab konkrete Handlungsvorschläge an alle, die sowohl auf Landes- wie auf Bezirksebene in der politischen Verantwortung für eine nachhaltige Stadtentwicklung stehen.

Mit einem Schreiben wandte sich die Architektenkammer Berlin am 21. Oktober 2022 an die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und gab konkrete Handlungsvorschläge an alle, die sowohl auf Landes- wie auf Bezirksebene in der politischen Verantwortung für eine nachhaltige Stadtentwicklung stehen.

Der Sommer 2022, mit seinen meteorologischen Ausschlägen, ragt selbst in der seit vier Jahren währenden regionalen Hitze- und Dürreperiode als Extremereignis hervor und hat uns allen vor Augen geführt, welche radikalen Auswirkungen der Klimawandel ganz besonders im verdichteten und stark versiegelten Stadt-raum hat. Die dramatischen Konsequenzen für Mensch und Natur verstärken sich in diesem Prozess gegenseitig und führen zu einer rapiden sinkenden Lebensqualität: Stichwort „urbane Hitzeinseln“. Gleichwohl wird der Sommer dieses Jahres im Rückblick noch als verhältnismäßig moderat erscheinen.

Bereits vor der Ausrufung des Klimanotstands durch das Berliner Abgeordnetenhaus und mehreren Bezirksverordnetenversammlungen im Dezember 2019 waren die Ziele des Klimaschutzes und der Klimaanpassung Gegenstand zahlreicher Erklärungen, Programme, Konzepte und Strategien. Doch den darin formulierten Erkenntnissen und Handlungsvorschlägen folgten zu wenig konkrete Maßnahmen. Anders formuliert: Die Umsetzung wirksamer Schritte bleibt in fast allen Bereichen deutlich oder ganz und gar hinter dem zurück, was jeweils als notwendig formuliert wurde. In vielen Handlungsfeldern ist unserer Wahrnehmung nach bislang nicht mehr passiert, als richtige Erkenntnisse und Absichten zu Papier zu bringen.

Vor dem Hintergrund der ambitionierten Wohnungsbauziele der Berliner Landesregierung sowie dem sich vollziehenden Stadtumbau muss sich insbesondere die Wertschöpfungskette Bau einer kritischen Selbstbefragung unterziehen.

Allein der Bausektor ist weltweit für 40 Prozent der CO2-Emission und 60 Prozent des Abfallaufkommens verantwortlich. Schon deshalb stehen die planenden Berufe, in unserer Stadt vertreten durch die Architektenkammer Berlin mit mehr als 10.000 Mitgliedern, in der gesellschaftlichen Verantwortung für das Weiterdenken und Mitwirken an notwendigen Lösungen für eine nachhaltige Transformation des Planens und Bauens.

Die technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Komplexität der anstehenden Herausforderungen hat innerhalb des Berufsstands zu Neubewertungen und für manche zu schmerzlichem Abschiednehmen von einer Planungsroutine geführt, die den aktuellen und künftigen Anforderungen nicht mehr gerecht wird.

Wir Planerinnen und Planer aller in der Architektenkammer vertretenen Disziplinen Stadtplanung, Architektur, Innenarchitektur und Landschaftsarchitektur haben um- und neu gedacht. Aus innovativen und bewährten Ansätzen entwickeln wir Arbeitsweisen, die den Neubau, vor allem aber die sinnvolle Weiter- und Umnutzung von bestehenden Gebäuden und Stadträumen im Sinne einer auf allen Ebenen resilienten Stadt zum Ziel haben.

Uns ist dabei bewusst, dass überzeugende Lösungen immer auch eine hohe Gestalt- und Nutzungsqualität erfordern. Darüber hinaus streben wir die für nachhaltiges Planen und Bauen notwendigen Qualifizierungen an und beziehen dabei sowohl das Wissen erfahrener Kolleginnen und Kollegen als auch externe Fachkompetenz jenseits unserer Disziplinen ein. Damit verfolgen wir ein klares Ziel: Ein Umdenken muss sich so schnell und weitgehend wie möglich in allen für die Stadt- und Raumentwicklung relevanten Handlungsfeldern durchsetzen und gleichzeitig zu konkretem Handeln führen.

Zwischenbilanz
Die Evaluierung laufender Programme, wie dem Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK), zeigt erschreckende Ergebnisse: Nicht nur wurde bislang bei weitem nicht genug getan; es zeigt sich auch, dass die vor einigen Jahren noch als sehr ambitioniert geltenden Maßnahmen auch nicht ausreichen werden, um die angestrebte CO2-Reduktion zu erreichen. Dafür reicht ein Blick auf den Instandhaltungsrückstau, insbesondere öffentlicher Liegenschaften, auf die mangelnde Erhöhung der Sanierungsquote sowie die fehlenden Ansätze für Quartierslösungen.

Doch es gibt auch vieles, das Mut macht und gleichzeitig nachdenklich stimmt:

  • Es gibt viele engagierte Menschen in dieser Stadt, die in ihrem jeweiligen Bereich längst angefangen haben, umzudenken und auf Basis nachhaltiger Kriterien zusammenzuarbeiten. Doch viele unserer Kolleginnen und Kollegen stoßen in der Praxis nach wie vor auf Hindernisse, gerade wenn es um das Bauen mit umweltfreundlichen Baustoffen, zirkuläres Bauen, die Gestaltung alternativer Nutzungskonzepte und -mischungen vor allem im Bestand geht.
  • Auch engagierte Mitarbeitende in Bezirks- und Senatsverwaltungen forcieren das Umdenken, müssen jedoch noch allzu oft gegen Widerstände antreten.
  • Der Berliner Klimabürger:innenrat hat jüngst nach acht Wochen intensiver Beratungen unter Beteiligung von 100 zufällig ausgeloster Berlinerinnen und Berlinern sehr deutliche Forderungen an das politische Handeln in der kommunalen Klimapolitik formuliert. Welche Maßnahmen folgen auf diese Forderungen?

Wir leiten aus dieser Bestandsaufnahme anliegende konkrete Handlungsempfehlungen ab und legen dafür die „Neue Leipzig-Charta − die transformative Kraft der Städte für das Gemeinwohl“ (2020) als verbindliche Leitlinie der deutschen und europäischen Stadtentwicklungspolitik zugrunde.

Stadtplanung, Architektur, Innenarchitektur und Landschaftsarchitektur kommt dabei eine entscheidende Rolle zu, insbesondere als Schlüssel für integrierte Betrachtungs- und Arbeitsweisen.
Unser Berufsstand ist sich seiner besonderen Verantwortung bewusst. Um aber verantwortungsbewusst handeln zu können, brauchen wir die Unterstützung aller, die auf Landes- und Bezirksebene in der politischen Verantwortung für eine nachhaltige Stadtentwicklung stehen.

Berliner Appell an die Regierende Bürgermeisterin, 21. Oktober 2022
Handlungsempfehlungen für eine integrierte Stadtentwicklung in Berlin